Auf dem ostafrikanischen Archipel häufen sich die Übergriffe auf KatholikInnen. Die Union mit dem tansanischen Festland wird zunehmend in Frage gestellt.
Exotische Gewürze und betörende Gerüche, verwinkelte Gassen, verschleierte Frauen, Palmen, weiße Traumstrände, türkisblaues Meer. Ein Paradies in den Tropen. Tausendundeine Nacht. In Europa weckt Sansibar, die Insel im Indischen Ozean an der Ostküste Afrikas, oft derlei Assoziationen. Sansibar ist ein beliebter Ort zum Ausklang einer Tansania-Reise, nach einer Safari durch die Serengeti oder einer Besteigung des Kilimandscharo. Aber auch PauschaltouristInnen fliegen vergleichsweise recht günstig direkt nach Sansibar, das ein halbautonomer Teilstaat von Tansania ist.
Tourismus ist einer der Hauptwirtschaftsfaktoren auf den Gewürzinseln mit etwas mehr als einer Million EinwohnerInnen. Bevor im März die große Regenzeit und die touristische Flaute beginnt, sorgt Mitte Februar das Musikfestival Sauti Za Busara (Swahili für „Stimme der Weisen“) noch einmal für volle Hotels und Restaurants in Sansibar-Stadt, der Hauptstadt. Seit zehn Jahren wird im Alten Fort eines der größten ostafrikanischen Musikevents veranstaltet. Neben traditioneller Musik wie dem sansibarischen Taarab wird auch tansanischer Hip Hop („Bongo Flava“) oder elektronische Musik aus Burkina Faso gespielt.
Dieses Jahr wird just am letzten Festivaltag, einem Sonntag, der katholische Priester Evarist Mushi erschossen. Er war auf dem Weg zum Frühgottesdienst in einer Kirche außerhalb Stonetowns, dem historischen Zentrum von Sansibar-Stadt. An vielen Festivalbesucherinnen und -besuchern geht der Vorfall unbemerkt vorüber. Wer jedoch auf der Straße offene Ohren hat, hört Bestürzung und Ratlosigkeit.
Sansibar ist für seine religiöse Freiheit und Toleranz bekannt. Bis heute hat die muslimische Mehrheit (über 90 Prozent der Bevölkerung) friedlich mit katholischen und protestantischen Christen, Hindus und Buddhisten koexistiert. Sollte sich das jetzt ändern? Bereits kurz vor Weihnachten wurde ein katholischer Priester angeschossen. Im Sommer 2012 brannten sowohl auf Sansibar als auch auf dem Festland, in Dar es Salaam, katholische Kirchen. Viele Menschen auf Sansibar glauben, die Übergriffe haben etwas mit „Uamsho“ zu tun. Uamsho bedeutet „Erwachen“ und ist eine Gruppe, die sich für islamisches Recht auf Sansibar sowie volle Autonomie des Sansibarischen Archipels einsetzt.
2015 stehen in Sansibar Wahlen an. Seit den ersten Mehrparteienwahlen 1995 kam es bisher immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, allen voran wegen der Rivalität zwischen den zwei Großparteien, der Civic United Front (CUF) und der Chama Cha Mapinduzi (CCM).
Nationale wie internationale Beobachterinnen und Beobachter befürchten zudem, dass der Einfluss des Wahhabismus, einer konservativ-dogmatischen Ausrichtung des sunnitischen Glaubens, auch auf Sansibar zunimmt.
Drei Tage nach dem Vorfall findet der Bestattungsgottesdienst für den ermordeten Priester statt. Der Ansturm ist riesig. Man blickt in betretene Gesichter. Die Frauen sind in festliche Kangas gekleidet, auf dem der Spruch steht: „Gott gebe uns den Glauben, uns auf Erden gegenseitig zu lieben!“ Ihre Klagen vor dem geöffneten Sarg gehen durch Mark und Bein. Bischöfe, Kardinäle, Politikerinnen und Politiker, Botschafter und Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen nehmen teil. Auch Sansibars Präsident Ali Mohamed Shein erweist dem Kirchenmann die letzte Ehre. Dieser Mord hat einen sensiblen Punkt der Gesellschaft Sansibars getroffen.
Hintergrund
Sansibar ist eine Inselgruppe 30 Kilometer vor der Ostküste Afrikas. Zu ihr gehören die Nachbarinseln Sansibar (auch: Unguja) und Pemba sowie kleinere Inseln in der Umgebung. Von 1505 bis 1698 stand das Gebiet unter portugiesischer Kolonialherrschaft, danach gehörte es zum Sultanat von Oman.
Unter Sultan Sayyid Said (1804/ 1806-1856) wurde Sansibar Hauptsitz des omanischen Sultanats. Im 19. Jahrhundert stieg die Inselregion durch Sklaven-, Elfenbein- und Gewürzhandel wirtschaftlich auf.
Am 1. Juli 1890 wurde es britisches Protektorat, um erst am 10. Dezember 1963 wieder die Unabhängigkeit zu erlangen. Am 12. Januar 1964 kam es zum Aufstand der unterdrückten InselbewohnerInnen gegen die – vor allem arabische – Elite, mit schätzungsweise 17.000 Toten. Im Zuge der Unruhen floh der letzte Sultan, Jamshed bin Abdullah. Es folgte die Ausrufung der Republik: Abeid Amani Karume wurde Präsident der Volksrepublik Sansibar und Pemba.
Am 26. April 1964 schlossen sich die Volksrepublik Sansibar und die Republik Tanganjika zu Tansania zusammen. In dieser Zeit versuchten verschiedene Revolutionsparteien an die Macht zu kommen. 1972 wurde Karume, vermutlich im Zuge dieser Machtkämpfe, ermordet. 1995 fanden die ersten Mehrparteienwahlen statt. Die Rivalität der zwei Großparteien Civic United Front (CUF) und Chama Cha Mapinduzi (CCM) führte immer wieder zu Gewalt. 2009 traten Vertreter von CUF und CCM in einen Dialog ein.
B.O/sol
Vielleicht noch entscheidender für die Zukunft der Insel als der Fundamentalismus sind allerdings die Autonomiebestrebungen der Uamsho. 2010 schloss sich die Oppositionspartei CUF mit der Regierungspartei CCM zu einer Einheitsregierung zusammen. Danach wurde Uamsho ein Sammelbecken für AutonomieanhängerInnen und übrig gebliebene Oppositionelle. Seitdem veranstaltete die Bewegung öffentliche Kundgebungen und Demonstrationen. Bis die Regierung einschritt. Im Oktober 2012 wurde die gesamte Führungsriege der Uamsho inhaftiert und vor Gericht gestellt.
Die AutonomistInnen wünschen sich politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Festland und stellen sich eine vertragsbasierte Union von ostafrikanischen Staaten nach dem Vorbild der EU vor. Die Union mit Tanganyika, dem Festland von Tansania, wurde am 26. April 1964 gegründet. Und stand sogleich in der Kritik. Abeid Amani Karume, bis dahin Präsident der Volksrepublik Sansibar und Pemba, wurde vorgeworfen, die Union nur aus eigenen Machtinteressen eingegangen zu sein.
Die Sansibaris fühlen sich bis heute benachteiligt. Viele halten es für Verschwendung, sich zwei Parlamente, Regierungen und Präsidenten zu leisten. Auch das Besteuerungssystem der Union habe nur Nachteile für die Inselbevölkerung. Die EinwohnerInnen müssen in Sansibar Steuern zahlen, aber auch eine Import-/Exportsteuer an die Unionsregierung für Waren vom Festland. Die Union muss für sämtliche Missstände und Ungerechtigkeiten als Sündenbock herhalten.
Tansania ist gerade dabei, sich eine neue Verfassung zu geben. Sie soll zum 50-jährigen Jubiläum der Union, im April 2014, verabschiedet werden. Der tansanische Präsident Jakaya Kikwete brachte dadurch auch das Verhältnis zwischen Sansibar und dem Festland aufs Tapet. Droht das Ende der Einheit? „Kikwete hat mit der Überarbeitung der Verfassung Pandoras Büchse geöffnet“, sagt etwa ein westlicher Politikberater, der anonym bleiben will. Andere hoffen, dass durch die Diskussion die Uamsho geschwächt werden kann, da die Politik den Islamisten so das Thema Autonomie nicht einfach überlässt.
Auch zwischen der einheimischen Inselbevölkerung und vom Festland Zugezogenen gibt es Spannungen in Sansibar. Die Leute aus Tanganyika kommen vor allem, um zu arbeiten. Sie sind gebildet, sprechen Englisch und ergattern die begehrten Jobs in der Tourismusbranche.
Schließlich kursiert auf der Insel die – gewagte – These, Sansibar werde vom Festland aus gezielt destabilisiert, um Gründe zu liefern, den Teilstaat in der Union zu halten. Hintergrund: Sicherheit, Verteidigung und Polizei sind Bereiche, die unter die Verantwortung der Unionsregierung fallen. In diesen Unionsangelegenheiten, insgesamt gibt es 22, kann Sansibar nicht für sich selbst bestimmen. Auch sie werden immer wieder in Frage gestellt. Erst Ende vergangenen Jahres konnten sich Kikwete und Sansibars Oberhaupt Shein darauf einigen, Gas und Öl von der Liste der Unionsangelegenheiten zu entfernen. Seit Jahren warten internationale Unternehmen darauf, auf und vor Sansibar nach Gas und Öl suchen zu können.
Die Messe in der Kirche ist vorbei. Eine Menschentraube schlängelt sich hinter dem Sarg mit dem Leichnam des Priesters Evarist Mushi aus der Kirche durch die Gassen zur Uferpromenade von Sansibar-Stadt. Dort warten Autos und Busse, die die Trauergäste zum Friedhof außerhalb der Stadt bringen. Ein nicht enden wollender Autokorso verstopft die Straßen. Muslimische Anrainerinnen und Anrainer stehen in ihren Eingangstüren und betrachten das Geschehen. Was wohl in ihren Köpfen vorgeht?
Barbara Off ist freie Journalistin und Reiseleiterin, sie lebt in München und schreibt vorrangig über Afrika mit Schwerpunkt Tansania.
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